armTM - Bilanz nach einem Jahr
Mit einer Pressekonferenz im Dezember 2017 hatten wir unsere neue Kampagne gegen Kinder- und Jugendarmut gestartet, die uns im Lauf des ganzen Jahres 2018 mit vielen Projekten und Aktionen beschäftigt hat. Wir ziehen eine erste Bilanz.
Aufgrund der erschreckenden Zahlen der zunehmenden Kinder- und Jugendarmut in Frankfurt war es uns wichtig, das Thema Kinder- und Jugendarmut wieder in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen. Wir wollten deutlich machen, dass Armut kein Makel ist und alle treffen kann. Wir wollten für unsere politischen Forderungen eintreten, die von der Mitgliederversammlung Ende 2017 verabschiedet worden waren, Bündnispartner*innen finden und die Politik zum Handeln bewegen. Wir wollten einen eigenen Beitrag leisten, mit dem Ziel, dass jedes Kind und jede*r Jugendliche in Frankfurt jährlich bei einer Ferienfreizeit mitfahren kann, unabhängig von der Einkommenssituation der Eltern. Wir hatten also Vieles vor: Das Meiste ist uns gelungen, Einiges ist auf der Strecke geblieben.
Flagge zeigen mit arm™
Unsere Forderungen und Ziele haben wir nicht nur über Plakate und Flyer transportiert, sondern auch mit Streetware. Die Idee, die wir zusammen mit unserer Agentur »U9 visuelle Allianz« entwickelt haben, beruhte auf dem Prinzip: Die Armut sichtbar machen, indem man sie trägt. Das arm™-Logo auf unserer Kleidung sorgt für Verwirrung und das Wort »arm« ist nicht sofort erkennbar. Die Message, die damit transportiert wird: Armut ist nicht cool, aber die Klamotten sind es. Wer arm™-Klamotten trägt, zeigt sich solidarisch mit denjenigen, die sich für ihre Armut schämen und die viele Tricks und Phantasie einwenden, um nicht aufzufallen. Es sollte auch zeigen, dass Armut jede*n von uns treffen kann, denn die Ursachen von Armut sind vielfältig und in den meisten Fällen nicht selbstverschuldet. Insbesondere Kinder und Jugendliche können nichts für die Armut ihrer Eltern.
Mit unserer Streetware wollen wir nicht nur das Thema in die Öffentlichkeit bringen, sondern auch einen Beitrag zur Umsetzung einer unserer Forderungen leisten: Mit jedem verkauften Artikel fließen mindestens 10 Euro in einen Ferien-Fonds, mit dem wir die Teilnahmebeiträge an Ferienfreizeiten unserer Verbände für die Kinder und Jugendlichen bezuschussen, deren Familien das Geld dafür nicht haben.
Mit großer Spannung haben wir im Januar unsere Projektwebsite www.armtm.de online geschaltet, die als Online-Boutique gestaltet ist und die die Hintergründe zur Kampagne sowie unsere politischen Forderungen beleuchtet. Die T-Shirts, Sweat-Shirts und Turnbeutel werden nachhaltig produziert: Sie sind aus fair produzierter Bio-Baumwolle, werden im Familienbetrieb Stadtdruck in Kalbach-Riedberg bedruckt und in der gemeinnützigen Tagesstätte Lebensräume in Offenbach verpackt und versendet. Sehr schnell trudelten die ersten Bestellungen ein. Zudem sind sechs lokale Händler*innen in Frankfurt eingestiegen und haben die arm™-Kleidung in ihr Sortiment aufgenommen.
Geld spenden, Freizeit schenken
Nicht nur der Verkauf von Klamotten hat Geld für unseren Ferien-Fonds eingebracht, sondern auch die direkten Spenden von Personen, Firmen und Organisationen. Einige unserer Verbände haben die Kampagne und das Label bei ihren eigenen Veranstaltungen beworben, Klamotten verkauft und/oder Spenden gesammelt. Andere Vereine haben Charity-Veranstaltungen zugunsten unserer Kampagne organisiert: Der Verein ADFE Hessen e.V. organisierte einen Soli-Couscous, zusammen mit dem Freundeskreis Québec-Deutschland veranstalteten sie auch eine Weihnachtsfeier, um Gelder für die Kampagne zu sammeln. Auch aus Offenbach kam Unterstützung: Der Yoga-Laden Offenbach sammelte im Rahmen eines Charity-Yoga-Day weitere Gelder für unsere Kampagne.
Im Sommer konnten bereits die ersten Kinder unterstützt werden und auf einer Freizeit mitfahren. Zum ersten Mal in ihrem Leben. Ohne lästige Antragsverfahren und bürokratischem Aufwand.
Lobbyarbeit, Vernetzung und Aufklärung
Seit dem Start der Kampagne haben wir unsere Forderungen in verschiedenen Gremien (Fachausschuss Kinder- und Jugendförderung, AG §78) und zivilgesellschaftlichen Netzwerken (u. a. Sozialpolitische Offensive Frankfurt, Frankfurter Alleinerziehenden Netzwerk) eingebracht. Wir haben Gespräche mit dem Oberbürgermeister und den Fraktionen geführt. Wir hatten auch alle Kandidat*innen des OB-Wahlkampfs in Februar dazu aufgefordert, Stellung zu unseren Forderungen zu beziehen. Die meisten taten es und kauften auch ein T-Shirt.
Am 20. März organisierten wir eine Podiumsdiskussion »Frankfurt: Reiche Stadt, arme Kinder?« mit der Sozialdezernentin Prof. Dr. Daniela Birkendfeld und zahlreichen Expert*innen aus Wohlfahrtsverbänden und Jugendeinrichtungen: Prof. Dr. Walter Hanesch (Hochschule Darmstadt, European Social Policy Network), Gaby Hagmans (Direktorin Caritas Frankfurt und stellvertretend für die Sozialpolitische Offensive Frankfurt), Rebekka Rammé (damalige FJR-Vorsitzende) und Ulaş Gergin (Saz-Rock e.V.). Stefan Schäfer, Geschäftsführer des Kinderschutzbundes Frankfurt, und Hanane Karfour von »Kinder im Zentrum Gallus e.V.« gaben zusätzlich Einblicke über den Alltag und die Auswirkungen von Kinder- und Jugendarmut, wie sie Fachleuten tagtäglich in der Arbeit begegnen. Aus dieser Podiumsdiskussion entstand bei uns die Idee der Institutionalisierung einer jährlichen Tagung zu dem Thema Kinder- und Jugendarmut in Frankfurt, um alle Akteur*innen langfristig zusammenzubringen. Diese Idee konnten wir seitdem noch nicht weiter aufgreifen, wir werden sie aber weiter befolgen.
Am 13. Juni haben wir bei einer Fallkonferenz des Frankfurter Alleinerziehenden Netzwerks einen Input zum Stand der Beschlüsse und Umsetzungen zum Thema Kinder- und Jugendamt in Frankfurt gegeben und unsere Kampagne und die wichtigsten Forderung im Hinblick auf Alleinerziehende vorgestellt. Es haben sich an dem Nachmittag Arbeitsgruppen gebildet, die u. a. zu folgenden Themen intensiv weiter diskutiert und Vorschläge und Forderungen erarbeitet haben: Bürokratische Hürden , Sensibilisierung der Schule für die Lebensituation von Kindern Alleinerziehender, Situation Alleinerziehender auf dem Arbeitsmarkt, Beengte Wohnverhältnisse, Isolation. Diese wurden von einer Arbeitsgruppe weiter ausgearbeitet und in die Sitzung des Jugendhilfeausschusses im August eingebracht.
Bei einigen Events in der Stadt waren wir präsent und haben für unsere Inhalte geworben. So durften wir z. B. am 1. Mai bei der Kundgebung des DGB Frankfurt die Kampagne prominent mit einem Stand am Römerberg vorstellen. Wir bekamen einen kostenfreien Stand beim »Late Night Market« und haben diesen für Information und Diskussionen genutzt.
Wir haben die Entwicklungen rund um das Programm »Zukunft Frankfurter Kinder sichern« näher verfolgt, das 2012 von der Stadtverordnetenversammlung verabschiedet wurde und im Sommer/Herbst 2017 sowie im Herbst 2018 von der Stadtverwaltung mit einem Sachstandsbericht sowie einem Konzept zur Fortschreibung des Programms ausgewertet wurde. Unsere Kritik von damals bleibt auch über das Jahr 2018 hinaus bestehen: Der Jugendhilfeausschuss und seine Fachausschüsse sind nach wie vor nicht ausreichend in die Weiterentwicklung und Diskussionen eingebunden. Vor allem im Bereich der Vernetzung und Verankerung des Themas als Querschnittsaufgabe ist viel zu wenig passiert. Der Ausbau oder die Umsetzung wichtiger Vorhaben, die mit der höchsten Stufe 2012 priorisiert worden waren, ist nicht oder teilweise nur erfolgt.
Aufklärung zum Thema Kinder- und Jugendarmut haben wir außerdem an Frankfurter Schulen betrieben. Auf Einladung vom Oberbürgermeister Peter Feldmann konnten wir an fünf Frankfurter Schulen (mit jeweils zwischen 150 und 300 Schüler*innen) das Thema besprechen und unsere Kampagne samt Label und Forderungen vorstellen.
Neue Maßnahmen in Frankfurt
Von der Stadtpolitik sind in den letzten beiden Jahren einige Beschlüsse gefasst worden, die eine Verbesserung für Familien mit wenig Geld bedeuten, die wir nicht unerwähnt lassen wollen.
- Nachdem das Land Hessen die Kita-Gebühren ab drei Jahre für die ersten sechs Stunden ab dem Sommer 2018 erlassen hatte, hat die Stadt Frankfurt die Gebührenfreiheit auf den ganzen Tag (ab Februar 2019) ausgedehnt.
- Das Personal der Jugendhilfe in der Schule wurde im Herbst 2018 aufgestockt und die Jugendhilfe in der Grundschule in allen Bildungsregionen eingeführt.
- Der kostenlose Zugang zu Schwimmbädern wurde für den 1. Februar 2019 für Kinder bis 14 Jahre beschlossen.
- Im Dezember wurde die Einführung eines Kultur- und Freizeittickets angekündigt, das Kindern und Jugendlichen den freien Eintritt in städtische und nicht-städtische Kultureinrichtungen sowie den Zoo ermöglichen soll, wenn ihre Eltern über ein monatliches Familieneinkommen von unter 4.500 Euro netto verfügen. Familien, die ein höheres Monatseinkommen haben, sollen das Ticket für einen moderaten Preis erwerben können.
Viele von den beschlossenen Maßnahmen begrüßen wir sehr, bei manchen gehen unsere Forderungen noch weiter. Bedauerlich finden wir, dass bei vielen Maßnahmen gegen Kinderarmut vorgegangen wird, dass aber im Bereich der Jugendarmut, also für die 14 bis 16-Jährigen, weniger unternommen wird. Aber gerade die Armut bei Jugendlichen hat oft ein Leben in Armut als Erwachsene*r zur Folge.
Resonanz und Ausblick
Die lokale Presse hatte bereits beim Start der Kampagne sehr viel Interesse gezeigt und berichtete auch regelmäßig das ganze Jahr über die verschiedenen Aktionen. Wir bekamen auch Zuspruch von überregionalen Fernsehsendern.
Im Sommer wurde unsere Kampagne vom Deutschen Bundesjugendring als Vorzeigeprojekt zum Thema Kinder- und Jugendarmut in Deutschland für den Bericht »So geht Nachhaltigkeit! Deutschland und die globale Nachhaltigkeitsagenda 2018« ausgewählt, neben weiteren modellhaften Initiativen, die sich auf lokaler Ebene für Nachhaltigkeit und Menschenrechtsschutz engagieren. Der Gesamtbericht ist unter www.2030report.de erhältlich.
Wir wurden bundesweit von einzelnen Organisationen für unsere Kampagne gelobt und es wurde unser Expertise angefragt. Jugendverbände und andere Jugendringe wollen das Label lokal in anderen Städten vertreiben, um es Kindern und Jugendlichen der jeweiligen Stadt zugutekommen zu lassen.
Ein weiteres kleines Highlight war die Tür Nr. 15 des Video-Adventskalenders des Schauspiel Frankfurt. In diesem Jahr wurden die Schauspieler*innen gebeten, einen für sie wichtigen Menschen aus der Stadt zu treffen und vorzustellen. Entstanden sind 24 Kurzfilme mit besonderen Begegnungen aus den verschiedensten Lebensbereichen Frankfurts, u. a. ein Bericht über arm™.
Wir freuen uns darüber, mit unserer Kampagne Interesse bei Partner*innen und Fachleuten geweckt zu haben, die gemeinsam mit uns an dem Thema weiterarbeiten möchten.
Auch sonst sind wir über den Erfolg unserer Kampagne positiv überrascht, sie stößt auf mehr Resonanz als wir gedacht hatten. Die begrenzten Ressourcen bei Vorstand und Geschäftsstelle haben letztendlich verhindert, dass wir die Kampagne noch weiter ausgebaut haben. Da das Thema weiterhin absolut dringend ist, werden wir dran bleiben und uns für die Belange der von Armut betroffenen Kinder und Jugendlichen und für eine solidarische Gesellschaft einsetzen.
Frankfurt/Main, 29.3.2019
Bericht veröffentlicht im Jahresbericht 2018
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Kinder- und JugendarmutInfo
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